In Teil I wurden typische Krankheitsanzeichen zusammengestellt und die Anämie klassifiziert in hämorrhagische (regenerative) und hämolytische (non-regenerative) Formen. Anämie an sich ist keine Krankheit, sondern Folgeerscheinung bestimmter zugrundeliegender Erkrankungen. Teil II behandelt die Diagnose verschiedener Fälle und deren Behandlung bei regenerativer Anämie.
Traumatischer Blutverlust
Blutverlust kann die Folge einer Verletzung sein, die im Körperinneren liegt. Innere Blutungen können unter Umständen äußerlich erkennbar sein. Trotzdem muss bei jeder ungewöhnlichen Flüssigkeitsansammlung geröntgt werden. Ist eine mögliche Verletzungsursache (Unfall, Kampf) nicht bekannt, kann man nach Indizien wie abgerissenen Krallen oder abgebrochenen Zähnen schauen. Da der Blutverlust vom Körper selbst schnell ausgeglichen wird, ist eine so verursachte Anämie kaum behandlungsbedürftig. Allerdings muss in manchen Fällen einem lebensgefährlichen Kreislaufkollaps bzw. Schock durch die Gabe von Elektrolytlösung und/ oder Plasmaexpander vorgebeugt werden. Kann die Blutung nicht alsbald nach dem Unfall gestillt werden, kann eine Bluttransfusion erforderlich werden, sei es zur Lebensrettung oder im Rahmen der Operationsvorbereitungen.
Nicht-traumatischer Blutverlust
Wenn keinerlei Verletzung nachgewiesen werden kann, könnte die Katze an einer versteckten Blutung leiden. Infrage kommen dann tumoröse Blutungen in den Darm- oder Urogenitaltrakt. Auch wenn offensichtlich Blut im Urin ist, muss dieser untersucht werden. Wenn frisches rotes Blut im Stuhl ist, kann man das leicht erkennen. Wenn aber Blutungen vom Magen oder Dünndarm in den Verdauungstrakt vorliegen, wird das Blut mit verdaut, und der Stuhl sieht dann schwarz aus. Die Palpation des Bauches kann eine gewisse Masse tastbar machen, auch können Röntgenaufnahmen des Brustraumes dienlich sein. In seltenen Fällen kann massiver Flohbefall bei jungen oder sehr alten, abgemagerten Katzen zu Anämie führen. Andere Ursachen, die zu Blutverlust führen, sind Blutgerinnungsstörungen (s. unten). Wenn eine Behandlung bei hämorrhagischer Anämie überhaupt möglich ist, dann abhängig von der zugrundeliegenden Ursache. Viele Tumore können zur Zeit noch nicht behandelt werden. Nur in einigen Fällen ist es möglich, durch Operation, Chemotherapie oder Bestrahlung zu helfen.
Störungen der Blutgerinnung
Wenn das Blut nicht richtig gerinnt, können exzessive Blutverluste eintreten. Solche Störungen kann man in zwei Gruppen einteilen, je nach dem, ob es ursächlich mit den Plättchen oder mit den Gerinnungsfaktoren zu tun hat.
a) Die Plättchen
Die Plättchen (Thrombozyten) sind winzige Zellteilchen, die im Knochenmark gebildet werden von Zellen mit der Bezeichnung "Megakaryozyten". Die Plättchen heften sich an die Wände beschädigter Blutzellen, geben verschiedene Stoffe ab und erfüllen damit mehrere Funktionen:
- noch mehr Plättchen anzuziehen, um die Lücke (Verletzung) zu schließen;
- die Blutgefäße in der Umgebung zu verengen;
- die Blutgerinnung zu aktivieren (Schorf bilden);
- Wachstum und Heilung des Gewebes zu stimulieren.
Wenn nicht ausreichend Plättchen vorhanden sind oder sie nicht richtig funktionieren, sieht man kleine Quetschungen, meistens auf den Schleimhäuten (Bindehaut, Gaumen usw.). Es kann auch zu Blutungen im Magen-, Darm- oder Urinaltrakt kommen, auch anderswo im Körper. Leber, Milz oder Lymphknoten können vergrößert sein. Störungen der Plättchen kommen bei Katzen selten vor.
In den meisten Fällen ist eine Thrombozytopenie (Anzahlverminderung) zu beobachten. Sie kann mit verminderter Produktion oder mit vermehrter Zerstörung zusammenhängen. Häufig liegt dann eine Knochenmarkserkrankung vor. Gesteigerter Verbrauch von Plättchen kann bei bestimmten hämorrhagischen Syndromen vorkommen wie z. B. Koagulopathie (s. unten), Gefäßtumoren oder bei Disseminierter Intravaskulärer Koagulation (DIC, s. unten). Dabei werden die vorhandenen Plättchen verbraucht.
Eine Zerstörung von Plättchen kommt primär durch Immunerkrankungen zustande, wobei die Plättchen durch das eigene Immunsystem der Katze zerstört werden. Als sekundäre Erscheinung findet man sie bei schweren Infektionen, z. B. auch bei Feliner Leukose, sowie als Nebenwirkung bestimmter Medikamente gegen Tumore, als Vergiftungsfolgen oder bei DIC (s. oben). Immunbedingte hämolytische Anämie kann gleichzeitig auftreten, wie auch Auswirkungen immunbedingter Erkrankungen (z. B. an Haut, Gelenken oder Nieren). Zum Nachweis gibt es Spezialtests (z. B. Coombs` Test, s. unten, und Tests zum Nachweis des antinukleären Antikörpers ANA, der sich gegen die eigenen Zellen der Katze richtet). Weitere Störungen der Plättchen sind Funktionsstörungen, z. B. durch Strukturveränderung. Dabei kann es sich um ererbte Defekte handeln, falls sie nicht sekundäre Erscheinungen anderer Krankheitsverläufe darstellen (schwere Leber- und Nierenerkrankungen) oder durch bestimmte Medikamente (z. B. Aspirin) verursacht wurden.
Die Behandlung der Thrombozytopenie hängt, unabhängig von der primären Ursache, ab von der Verwendung immunsuppressiver Gaben von Prednisolon oder anderen Medikamenten. Im Falle einer notwendigen Bluttransfusion sollte diese innerhalb von 1-2 Stunden nach der Spende stattfinden, damit noch ausreichend Plättchen vorhanden sind.
b) Die Blutgerinnungsfaktoren
Wenn das Blut nicht richtig gerinnt, kommt es zu unablässigen inneren oder äußeren Blutungen, unter anderem auch nach Operationen, zu Nasenbluten und zu Hämatomen. Allerdings ist das bei Katzen selten. Zu Blutgerinnungsstörungen kommt es, wenn die entsprechenden Faktoren fehlen. Bei Katzen gibt es erbliche Hämophilie, die auf dem Fehlen verschiedener Faktoren beruhen kann. Alle außer Faktor VIII werden in der Leber produziert, so dass die Krankheit auch durch schwere Lebererkrankungen ausgelöst werden kann. Außerdem ist zur Produktion der Faktoren II, VII, IX und X Vitamin K notwendig. Wenn dieses fehlt, z. B. infolge einer Magen-Darmerkrankung oder Vergiftung mit Rattengift, kommt es ebenfalls zur Störung der Blutgerinnung. Eine weitere Ursache kann der fehlende Wilbrand-Faktor sein, der den Faktor VIII trägt. Er bewirkt, dass die Plättchen sich an die Wände der Blutgefäße anheften. Viele Laboratorien sind in der Lage, die verschiedenen Gerinnungstests durchzuführen.
Bei der erblichen Koagulopathie müssen Verletzungen vermieden werden, ebenso bestimmte Medikamente und Impfstoffe. Bei Unfallverletzung muss unverzüglich geholfen werden, z. B. mit Druckverband. Hämatome sollten grundsätzlich nicht drainiert werden. Bei Bedarf muss eine Bluttransfusion verabreicht werden. Die durch Vitamin K-Mangel erworbene Koagulopathie kann durch Vitamin K-Spritzen geheilt werden, die aber bei anderen Ursachen die Krankheit nicht beeinflussen. Die zugrundeliegende Erkrankung ist stets zu beachten.
Hämolytische Anämie
Die Ursachen der zweiten Gruppe regenerativer Anämie beruhen auf Hämolyse. In praktisch allen Formen der hämolytischen Anämie kommt es außerhalb der Blutbahnen zur Hämolyse. Betroffene Katzen haben oft Gelbsucht und eine vergrößerte Milz.
Immunbedingte Hämolytische Anämie (IMHA)
Normalerweise erkennt das Immunsystem der Katze körpereigene Zellen und ignoriert sie. Aber es kann auch passieren, dass das Abwehrsystem Erythrozyten (rote Blutkörperchen) oder andere Zellen als "fremd" behandelt, bekämpft und zerstört. So kommt es zu den sogenannten "autoimmunen" oder "immunbedingten" Krankheiten. Bei der primären IMHA, die bei Katzen sehr selten auftritt, binden sich die Antikörper direkt an die Zellmembrane der roten Blutkörperchen. Bei sekundärer IMHA binden sich die Antikörper indirekt über ein fremdes Antigen an die roten Blutkörperchen (s. Hämobartonella Felis). Dadurch kann die Zelle von den Makrophagen angegriffen und zerstört werden. Manchmal kommt es nur zu teilweiser Zerstörung der Erythrozyten, sie werden dann mehr rund und zerbrechlich. Solche Zellen (Sphärozyten) können bei Katzen mit IMHA im Blut nachgewiesen werden. Die definitive Diagnose dieser Anämieformen besteht im Nachweis von Erythrozyten, die in Immunoglobine gehüllt sind (Coombs' Test). Leider unterscheidet der Test nicht zwischen primärer und sekundärer Form der Erkrankung. Deshalb muss die Katze vorher auf die ursächliche Krankheit hin untersucht werden. Vorsicht: Der Test kann falsch-negativ sein! Als Ursachen für IMHA kommen infrage Hämobartonella-Infektion, gewisse Medikamente (z. B. gegen Schilddrüsen-Überfunktion) und Geschwürerkrankungen, besonders lymphoproliferative und myeloproliferative Erkrankungen. Auch sieht man gewisse Stämme des FeLV in Verbindung mit IMHA. Nur in wenigen Fällen liegt echte primäre IMHA ohne ursächliche andere Krankheit vor. Eine in letzter Zeit viel diskutierte Form primärer IMHA ist die Neonatale Isoerythrolyse (NI), das Sterben neugeborener Kätzchen wegen Blutgruppenunverträglichkeit der Eltern (wir berichteten in einer früheren Ausgabe).
Die Feline Hämobartonella-Infektion
Die bekannteste Ursache der Hämolytischen Anämie ist die Infektion mit Hämobartonella Felis - auch Feline Infektiöse Anämie (FIA) genannt. Der Erreger ist ein winziger Parasit, der sich an die roten Blutkörperchen der Katze ' heftet. Dadurch wird die Zelloberfläche zerstört, es entstehen die o. g. Sphärozyten, und die Makrophagen in der Milz sorgen dafür, dass die befallenen roten Blutzellen aus dem Kreislauf ausgeschieden werden. Der Coombs` Test ist häufig positiv. Die Katze wird anämisch, weil die vielen befallenen roten Blutkörperchen schneller aus dem Kreislauf ausgeschieden als regeneriert werden. Wie die Ansteckung auf natürlichem Wege verläuft, ist noch nicht genau bekannt Jedenfalls muss es zu einer Blutübertragung kommen. Möglicherweise sind blutsaugende Parasiten (Flöhe!) beteiligt. Nach der Infektion dauert es 2-17 Tage, bis der Hämobartonella-Organismus im Blut nachgewiesen werden kann. Nun beginnt der parasitäre Zyklus von 3-8 Wochen, welcher zum Krankheitsbild führt. Nach Überwindung der Infektion bleibt der Erreger vermutlich in der Milz erhalten, und die Katze bleibt jahre- oder lebenslang Träger. Bei Stress oder wenn es zu lmmunsuppression kommt, z. B. bei Infektion mit FeLV oder FIV, kann die Hämobartonella-Infektion (H.felis) wieder ausbrechen. Katzen mit klinischer H.felis leiden häufig an Milzvergrößerung und Fieber. Bei schwerer Anämie kann es zu Herzgeräuschen und Gelbsucht kommen. H.felis kann behandelt werden. Meistens werden Tetracycline eingesetzt Chloramphenicol hilft auch, sollte aber nicht eingesetzt werden, weil es die Funktion des Knochenmarks einschränken und damit die Krankheitserscheinungen verschlimmern kann. Bei IMHA kann auch Prednisolon angezeigt sein.
Oxidative Schäden
Bei oxidativen Schäden kommt es zu Heinzschen Körpern, die Lebensfähigkeit der Erythrozyten ist eingeschränkt, es kann eine hämolytische Anämie entstehen. Das tritt mit großer Wahrscheinlichkeit ein nach Vergiftungen z. B. mit Methylenblau (urinäres Antiseptikum) oder durch Paracetamol. Die Paracetamolvergiftung führt u. a. zu Methämoglobinanämie und ist lebensgefährlich. Heinzsche Körper können auch von einer "Selbstvergiftung" des Körpers bei Magen-Darm-Stase kommen. Diese Form der Anämie kommt z. B. bei Katzen mit Dysautonomie (Key-Caskell-Syndrom) vor.
Mikroangiopathische Tumore
Bestimmte Gefäßtumore (Hämangiom, Hämangiosarkom) können eine hämolytische Anämie hervorrufen. Man findet diese Tumore bei bestimmten Hunderassen häufig, aber bei Katzen selten. Meistens finden sich Fragmente roter Blutkörperchen im Blut. Der primäre Tumor sitzt meistens in der Bauchhöhle oder im Unterhautgewebe, seltener im Brustraum oder anderswo. Oftmals sind unspezifische klinische Anzeichen wie Apathie, Erbrechen, Appetitlosigkeit oder Gewichtsverlust die einzigen Hinweise. Bei Abtasten des Bauches wird der Arzt die Geschwulst finden, Röntgen- und Ultraschallaufnahmen unterstützen die Diagnose. Katzen mit solchen Tumoren kollabieren plötzlich wegen der Blutung des Tumors. Sie zeigen dann die typischen Anzeichen für starken Blutverlust, wie blasse Schleimhäute, schlechte Wiederdurchblutungsreaktion nach Druck, beschleunigte Herzfrequenz, Schwäche. Hämangiosarkome metastasieren meist, deshalb bringt ein operativer Eingriff nur zeitweilig Linderung. Chemotherapie ist bisher bei Hunden probiert worden, allerdings nicht mit überzeugendem Erfolg.
Disseminierte Intravaskuläre Koagulation (DIC)
DIC ist meist eine sekundäre Erscheinung und bekannt als gefährliche Komplikation anderer Krankheitszustände. Wie der Name bereits andeutet, gerinnt das Blut innerhalb des Blutkreislaufes. Dazu bedarf es großer Mengen von Plättchen und Gerinnungsfaktoren, und paradoxerweise führt es zu einem hämorrhagischen Syndrom. Die Diagnose von DIC wird abgesichert durch den Nachweis hoher Anteile von Fibrinabbauprodukten (aus der Blutgerinnung). Schnelle medizinische Hilfe ist hier lebensnotwendig. Zunächst muss Flüssigkeit gegeben werden, Heparin (gegen die Blutgerinnung) kann und Aspirin (zur Einschränkung der Plättchenfunktion) sollte in angemessener Dosierung verabreicht werden (10 mg /kg alle 48 Stunden). Einige Fachleute empfehlen Bluttransfusion, aber diese kann die Blutgerinnung beschleunigen und sollte deshalb, wenn überhaupt, nur mit größter Vorsicht durchgeführt werden. Die eigentliche Krankheit muss herausgefunden und wirksam bekämpft werden.